Mittwoch, 3. Januar 2018
Faktenfrei und Spass dabei
Der Soziologe Stephan Lessenich schreibt in der Süddeutschen Zeitung, es seien nicht die Abgehängten gewesen, die den Aufstieg der rechtsnationalen Alternative für Deutschland (AfD) ermöglicht hätten, sondern die Mittelklasse voller Abstiegsangst. Interessante These. Im ganzen Artikel findet sich aber kein einziger echter Beleg dafür (eine repräsentative Umfrage oder Ähnliches). Man liest Passagen wie diese: "Was wir im Jahr 2017 vielmehr erlebt haben, ist der "Aufstand der Etablierten" (Cornelia Koppetsch): Eine Bewegung zur Verteidigung von als gerechtfertigt erachteten und durch den Aufstieg von Außenseitern als gefährdet wahrgenommenen ökonomischen, sozialen und kulturellen Vorrechten. Eine Bewegung, die Klassenkämpfe aus der Mitte führt - und in der die unteren und oberen Fraktionen der Mittelschicht in einer klassenpolitischen Positionierungskonkurrenz zueinander stehen, um letztlich dann aber doch an einem Strang zu ziehen." Also nur eine Frage an SZ-Chefredaktor Kurt Kister: Sollten nicht auch im Feuilleton Fakten geboten werden?
Gratis ist noch zu teuer
Valeska Blank, immerhin stellvertretende Ressortleiterin Wirtschaft der Gratiszeitung 20 Minuten, hat für die heutige Printausgabe den Aufmacher verfasst: "Darum arbeiten Angestellte im Café besser als im Büro". An diesem Artikel ist so vieles handwerklich schlecht, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen soll. Vielleicht mit den kleineren Dingen: Quelle ist ein Artikel aus der Harvard Business Review, der natürlich nicht erwähnt wird. Online ist er immerhin verlinkt. Die Quelle stammt aus dem Oktober. Kann man machen - bei einem tagesaktuellen Medium. Eine erwähnte Studie belgischer Forscher ist bereits von 2016, eine weitere allerdings schon von 2013. Aktualität also schon mal Fehlanzeige. Egal. Schlimmer ist, dass Blank einfach kommentierend eingreift und Studienergebnisse so interpretiert, dass sie zur Titelthese passen. Beispiel: "Wenn man andere hart arbeiten sieht, gibt man sich bei den eigenen Aufgaben mehr Mühe. Das haben belgische Forscher herausgefunden. Ihr Fazit: Fleiss wirkt ansteckend. Dieser Effekt kann in einem Café gut greifen, denn dort sieht man ständig, wie die Angestellten servieren, abräumen oder Tische putzen." Das haben die belgischen Forscher aber nicht so geschrieben. Noch ein Beispiel: "Dass Angestellte mehr leisten, wenn sie ab und zu der Grossraum-Atmosphäre entfliehen können, haben schon zahlreiche Umfragen belegt. Eine Studie der Universität Stanford zeigt etwa, dass Mitarbeiter im Homeoffice 13,5 Prozent effizienter sind und 9 Prozent engagierter arbeiten als ihre Kollegen, die immer im Büro präsent sein müssen." In der Onlineversion wurde hier ein Satz entfernt. In der Printversion folgt nämlich noch folgender: Fürs Café dürfte also dasselbe gelten. Nicht zuletzt steht im Lead, dass Angestellte im Café mehr leisten als im Büro. Auch das wird natürlich im Text nicht belegt. Der Originalartikel der Harvard Business Review liefert dieses Ergebnis auch nicht hart. Also nur eine Frage an Valeska Blank: Haben Sie diesen Artikel am Silvesterabend verfasst?
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